Gottesvolk versammelt sich vor Ort

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Von Laien geleitete „Stationsgottesdienste“ im Osten Deutschlands

Was tun, wenn kein Priester mehr vor Ort ist? Für Christen der ehemaligen DDR eine seit langem bekannte Erfahrung! 1965 wurde hier erstmals für ein europäisches Land die Erlaubnis erteilt, dass bischöflich beauftragte Diakonatshelfer in Laien- und Hausandachten die heilige Kommunion spenden. Ein Vorgehen für die damaligen „Außenstationen“ der Pfarreien, das sich auch in der heutigen Situation weiterhin unter dem Namen der „Stationsgottesdienste“ bewährt, wie Thomas Kappe, Diakon des Bistums Erfurt, erzählt.

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Seit 1965 finden im heutigen Bistum Erfurt von Laien geleitete Wort-Gottes-Feiern mit Kommunionausteilung statt. Diese Praxis hat sich in der Diaspora bewährt und gehört zu den allsonntäglichen Gottesdiensten in den Pfarreien dazu. Wie erleben Katholiken in Thüringens Diaspora ihre Situation? Als Beispiel das Städtchen Leutenberg im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt. Katholiken leben in dem Ort, seit Flüchtlinge und Vertriebene dort nach 1945 angekommen sind und auch einen Geistlichen „mitbrachten“. Nachdem dieser in Ruhestand ging, wurde Leutenberg vom Kaplan der Pfarrei Saalfeld seelsorglich betreut. Ab 1994 gab es aber auch in Saalfeld keinen Kaplan mehr, die Gottesdienststellen mussten neu organisiert werden. Der wöchentliche Wechsel zwischen Wort-Gottes-Feier und Eucharistiefeier in mehreren Orten ermöglichte den Erhalt von vier Gottesdienstorten, darunter Leutenberg, neben der Pfarrkirche. Fünf Orte wurden im Pfarreigebiet damals aufgegeben. Die Katholiken in Leutenberg, heute etwa 150 Personen, sind dankbar für den regelmäßigen sonntäglichen Gottesdienst: „Wir sind hier alt geworden, haben hier geheiratet und unsere Kinder sind hier getauft …“, berichtet ein älterer Mann. „Gott sei Dank kommt ein Diakonatshelfer und feiert mit uns den Gottesdienst, bis nach Saalfeld käme ich nicht. Zur Eucharistiefeier kommen zwar meist ein paar mehr, aber 12 bis 15 Leute sind immer da, manchmal auch mehr.“ Herr Reichel kommt als einer der Diakonatshelfer von Saalfeld regelmäßig nach Leutenberg, um mit den Gläubigen Gottesdienst zu feiern. Seit 1972 ist er mit diesem Dienst beauftragt und damit ein „alter Hase“. Er hat mit seinem Dienst in verschiedenen Orten der Pfarrei viele schmerzliche Einschnitte abmildern können und immer wieder auch Brücken zur Pfarrei geschlagen. Den Gemeinden vor Ort sei bewusst, dass er „nur“ eine Wort-Gottes-Feier und keine Eucharistie leitet, aber, so erlebt er es: „Es ist den Menschen wichtig, überhaupt und regelmäßig miteinander Gottesdienst zu feiern und den Sonntag als Tag des Herrn zu begehen.“

Zeitgleich mit der katholischen Gemeinde trifft sich auch die evangelische Gemeinde zum Gottesdienst. Die etwas provozierende Frage nach einem gemeinsamen Gottesdienst beantwortet eine Rentnerin klar: „Wir machen vieles gemeinsam, treffen uns in der Woche zu Veranstaltungen, die Pastorin kümmert sich um uns Senioren immer gut, aber am Sonntag ist uns die Kommunion wichtig. Wir sind schließlich katholisch.“

Der katholische Gottesdienst findet in Leutenberg seit Jahrzehnten in der gepachteten denkmalgeschützten Friedhofskapelle statt. Die Gemeinde sieht in der Pflege und Instandhaltung der Kapelle auch einen Dienst für den Ort, denn für Beerdigungen steht allen Einwohnern damit nicht nur ein würdiger Raum zur Verfügung, sondern alle Leutenberger versammeln sich und nehmen Abschied von ihren Angehörigen dort, wo der Herr leibhaftig im Tabernakel zugegen ist.

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Die Erfahrungen aus Leutenberg können pars pro toto für ähnliche im ganzen Bistum Erfurt stehen. Die 50 Jahre alte Idee der Diakonatshelfer ist für heute anstehende Fragen der Kirchenentwicklung förderlich: Der Dienst fördert die Partizipation vieler, da liturgische Verantwortung (die besonders oft klerikal und nur klerikal gedacht wird) auf Nicht-Priester und Ehrenamtliche übertragen wird. Allein dadurch wird das übliche Bild der mitfeiernden Getauften aufgebrochen, zudem werden die Diakonatshelfer in der Ausbildung angehalten, möglichst viele einzubeziehen. Bei allen formalen Vorgaben lässt die Wort-Gottes-Feier Raum für eigenes Glaubenszeugnis der Leiter und im besten Fall auch für geistliches Gespräch der Teilnehmenden. So wird die Begegnung mit Christus auf der persönlichen Ebene befördert. Zudem führt die Feier in die stets auszulotende Spannung von Versammlung der Gemeinde vor Ort und der zentralen Eucharistiefeier. Direkt vor Ort bekommt katholische Kirche so ein Gesicht durch die Getauften. So gibt es in aller Kleinheit Platzhalter für neue Kirchenbilder.