Die Feier der Lebenswende

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Eine Feier für Jugendliche im Übergang zum Erwachsenwerden, so die Erwartung, welche im Oktober 1997 an die Erfurter Domgemeinde herangetragen wurde. Weihbischof Dr. Reinhard Hauke schildert seine Reaktion. Da sie sich als Erfolgsmodell herausstellte, gibt der Textauszug aus dem Buch Haukes zusätzlich zwei Berichte von Verantwortlichen an anderen Orten wieder.

Im Oktober 1997 wurde das Projekt „Feier der Lebenswende“ in Verantwortung der katholischen Domgemeinde St. Marien in Erfurt gestartet. Es richtet sich an Jugendliche, die in der 8. Klasse sind, und – entsprechend örtlicher Tradition – ein Fest wünschen, das in der Zeit des Sozialismus als „Jugendweihe“ bezeichnet wurde.

Das gegenseitige Kennenlernen wie das Vertrautwerden mit dem Raum, in dem die Feier stattfinden sollte, ist ein erster Schritt zum Gelingen des gemeinsamen Projektes. Das gewählte Thema lautet oftmals: „Freundschaft – Verantwortung füreinander“. Aber auch andere Themen wie „Meine Suche nach dem Glück“ oder „Mein Leben in Gemeinschaft“ werden ausgewählt. Der Rückblick auf das bisherige Leben und der Ausblick auf die Zukunft und Verantwortung in der Gesellschaft prägen die Feier von ca. 75 Minuten. Der bisherige Weg wird durch ein Tuch angedeutet, das in der Lieblingsfarbe des Jugendlichen gefärbt ist und von den Eltern, die den Jugendlichen in das Leben gebracht haben, auf dem Boden ausgelegt wurde. Darauf werden Gegenstände gelegt, die an den bisherigen Weg erinnern.

In einem zweiten Schritt sollen die Jugendlichen ihre Erwartungen betreffs Berufsleben und persönlicher Lebensgestaltung bedenken. Im Zentrum der Feier steht ein literarischer Text – z. B. von Phil Bosmans, oder Märchen und Fabeln aus katechetischer Literatur. Die Jugendlichen beschreiben anhand dieser Texte ihre Zukunftsvorstellungen. Das Ergebnis dieser Überlegungen wird dann in der „Feier der Lebenswende“ vorgetragen. Eine Kerze, die zu dem Tuch gestellt wird, das den bisherigen Lebensweg beschreibt, soll Symbol der Zukunftshoffnung sein.

Bei einem dritten Vorbereitungsabend wird über die Probleme der Gesellschaft und Welt nachgedacht, um daraufhin Bitten betreffs der Veränderung dieser Probleme zu formulieren. In diesem Zusammenhang wird ein soziales Projekt beraten, bei dem z. B. die Gruppe eine Einrichtung in der Stadt besucht, in der konkrete Hilfe für Problemfälle der Gesellschaft angeboten wird, und wo auch die Jugendlichen selbst helfen können. Schließlich kam die Idee auf, für Obdachlose selbst eine Aktion vorzubereiten. Von 1998 bis 2006 war es Tradition geworden, dass an mehreren Nachmittagen die Jugendlichen im Pfarrhaus an Obdachlose ein selbst gekochtes Mittagessen verteilten oder anderweitig sozial Schwachen halfen. Dabei war die Sorge um das Essen für die Obdachlosen oder die konkrete Hilfe das erste Interesse und vielfach ergab sich nebenbei ein Gespräch über Ursachen und konkrete Situation der Obdachlosigkeit oder anderer Nöte. In den nachfolgenden Jahren wurden andere soziale Projekte überlegt und verwirklicht.

Die Jugendlichen übernehmen in der „Feier der Lebenswende“ fast vollständig – außer dem Präludium und Postludium durch die Orgel – die musikalische Gestaltung der Feier. Dabei sind Jugendliche beteiligt, die mit hohem Können klassische oder moderne Literatur spielen. Aber auch Jugendliche, die lediglich mit einer Hand das Keyboard spielen können, sind zur Mitgestaltung eingeladen.

Foto der Feier der Lebenswende im Erfurter Dom

Im Anschluss an die Feier im Jahr 2000 schrieb ein Vater folgenden Text:

„Wichtig ist die Vermittlung von prinzipieller Zuversicht und Hoffnung, auch bei ungewisser Zukunft und die Toleranz, die Zukunft anzunehmen, auch wenn es eben nicht so kommt, wie man es sich wünscht und plant. Wichtig ist, sich einer Segnung bewusst zu sein.“

In zahlreichen Orten im Osten Deutschlands (z. B. Dresden, Halle, Leipzig, Berlin, Magdeburg, Dessau) werden Feiern für diese Zielgruppe durch die katholischen Gemeinden angeboten. Die Gestaltung unterscheidet sich bei bleibendem Anliegen, für Jugendliche von etwa 15 Jahren, die bisher noch keine Berührung mit Kirche hatten, aber diesen Schritt zum Erwachsenwerden sinnvoll gestalten wollen, einen Raum zu schaffen, der von christlichem Geist durch Personen und durch die Raumgestaltung durchdrungen ist. Interessanterweise konnte festgestellt werden, dass vor allem Eltern dieser Jugendlichen durch den konkreten Kontakt zu einem Seelsorger daran anknüpfen und den Weg in die Kirchengemeinde suchen und gehen.

Beispiel: Feier der Lebenswende in der Kirche St. Petri zu Magdeburg, 24. Mai 2014

Seit 2011 besteht nun wieder für Schülerinnen und Schüler des Norbertusgymnasiums die Möglichkeit, zusammen mit ihren Mitschülern und Familien die Feier der Lebenswende zu begehen. Dieses Angebot der katholischen Kirche in Zusammenarbeit mit dem Norbertusgymnasium richtet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler, die die achte Klasse besuchen und keiner religiösen Gemeinschaft angehören. Die Feier zur Lebenswende ist kein Ersatz für eine religiöse Veranstaltung, sie soll aber sowohl ein Fest gestatten, das von allen Teilnehmern in einer vertrauten Atmosphäre selbstbestimmt vorbereitet und gestaltet wird, als auch die Auseinandersetzung mit wesentlichen Fragen einer wertbestimmten Lebensweise fördern.

Der eigentlichen Feier gehen sieben Treffen voraus, die auf zwei Phasen verteilt sind. In der ersten Phase beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit den Merkmalen eines Lebens, das auf Werten aufbaut und darum gut ist. In der zweiten Phase planen die Jugendlichen selbst die Feier und bereiten sie mit Unterstützung vor.

Programm:

  • Einzug mit Orgelbegleitung
  • Begrüßung
  • Vorstellung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer
  • Klaviermusik (Marlon Roudette: New Age; Manfred Schmitz: Fantasie in a-Moll)
  • Rede einer Schülerin, Gedichtrezitation durch eine Schülerin
  • Klaviermusik (Yann Tiersen: La dispute; Ludwig van Beethoven: Sonate f-Moll, 1. Satz, Allegro)
  • Rede, Überreichung der Fotobücher bzw. Urkunden
  • Lied mit Klavierbegleitung
  • Überreichung der Kerzen an die Jugendlichen durch die Eltern
  • Dank der Jugendlichen
  • Rede
  • Lied mit Klavierbegleitung
  • Schlusssegen
  • Auszug mit Orgelbegleitung
  • Steigenlassen der Ballons

Winfried Ernst, Norbertus-Gymnasium Magdeburg

Beispiel: An der Schwelle zum Erwachsensein, Liborius-Gymnasium Dessau

Das Bistum Magdeburg bietet seit dem Jahr 2000 die „Feier der Lebenswende“ für nicht christliche Jugendliche an. Mittlerweile ist daraus mehr geworden als „nur“ eine Alternative zur Jugendweihe. Ein fast schon gewohntes Bild ergibt sich, wenn Schülerinnen und Schüler der 8. Klasse des Liborius-Gymnasiums in Dessau-Roßlau danach befragt werden, welche Feier sie am Ende des Schuljahres begehen werden. Ein guter Teil lässt sich konfirmieren bzw. firmen, einige gehen zur Jugendweihe und ein anderer Teil nutzt das Angebot der „Feier der Lebenswende“. Obwohl seit dem Jahr 2000 von der Seite des Schulträgers regelmäßig angeboten, ist die Feier der Lebenswende bis heute nicht Normalität im Land Sachsen-Anhalt, in dem sich Dessau-Roßlau befindet. Sie findet zudem in Magdeburg, Halle und (erstmals im Jahr 2012 an der „Freien Schule“) in Köthen statt und wird vom Katholischen Bistum Magdeburg angeboten. Sie wurde vom damaligen Bischof Leo Nowak zunächst an den 3 Gymnasien in der Trägerschaft des Bistums initiiert. Die seit 1998 am Erfurter Domberg angebotene Feier der Lebenswende war auslösendes Moment.

Durchaus als eine Alternative zur stark frequentierten Jugendweihe bietet seit nunmehr 14 Jahren das Bistum Magdeburg in Verbindung mit der Schule vor Ort „jungen Menschen mit der Feier zur Lebenswende sowohl den Raum für Begegnung und Gespräche als auch die abschließende Feier des Übergangs von der Kindheit zur Jugend“ an (aus: Bistum Magdeburg, Information zur Feier der Lebenswende). Es ist ein Angebot für die ungetauften Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums – etwa ein Drittel –, die, wie sonst üblich, von den entsprechenden Vereinen auf die Jugendweihe hin beworben werden. Was ist aber die Feier der Lebenswende? Einige Charakteristika sollen verdeutlichen, dass sie nicht nur eine Feierstunde ist!

Die teilnehmenden Jugendlichen treffen sich meist monatlich für 1,5 Stunden über einen Zeitraum von September bis Mai/Juni in Räumen einer kath. Pfarrgemeinde, die diese zur Verfügung stellt. Dabei bilden die drei Zeiten einer Lebenswende – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – die Folie des Bedenkens und Deutens des je eigenen Übergangs von der Kindheit zur Jugend und dies auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes, welches die beiden Leiter immer wieder in die Themen hineinhalten.

Grundstruktur der Jugendlichen:

Vergangenheit:

  • Ankommen und Ausrichtung
  • Ich als Teilnehmer in diesem Kurs
  • Wer bin ich? – Spuren-Suche
  • Mosaik der Seele

Jetzt und Heute:

  • Feierstundeninhalte

Zukunft:

  • Beziehungen Bausteine für ein gelingendes Leben
  • Haltungen für ein gelingendes Zusammenleben
  • Was eine Partnerschaft/Beziehung trägt

Ein hoher Anteil an Mitgestaltung durch die jungen Leute selbst wird immer wieder eingefordert und trägt zum Gelingen des sich dabei entwickelnden Prozesses bei. „Als Kirche sehen wir hier eine Verantwortung, jungen Leuten in der besonderen Zeit zwischen Kindheit und Erwachsensein eine sinnvolle Begleitung anzubieten, damit die Heranwachsenden mit ihren eigenen Anliegen vorkommen und diese vor dem Hintergrund unseres Glaubens an den Gott des Lebens wertgeschätzt werden können“ (aus: Bistum Magdeburg, lnformation zur Feier der Lebenswende).

In allen Treffs der Jugendlichen wird darüber hinaus die abschließende Feierstunde textlich und musikalisch vorbereitet. Es werden Elemente, die in den monatlichen Treffs an Bedeutung gewonnen haben, aufgegriffen und in die Feierstunde eingefügt, die wiederum die schon erwähnten Zeiten einer Lebenswende als Grundstruktur hat. Es ist eine Feier, die in einer katholischen Kirche stattfindet, bei der den Jugendlichen am Ende auch der Segen Gottes zugesprochen wird.

Auch die Eltern der Jugendlichen werden zu Elterntreffs eingeladen. Geschichten und Filme bieten dabei die Schauplätze, dass auch die Eltern über sich selbst in der Zeit der Lebenswende ihrer Kinder nachdenken und ins Gespräch kommen können. Die Möglichkeit, sich über ein symbolhaftes Geschenk in die Feierstunde mit einzubringen, wird mit großem Engagement von den Eltern aufgegriffen und umgesetzt.

Folgendes Grundmuster der Feierstunde wird den Jugendlichen als Vorschlag vorgelegt, das mit kleinen Änderungen meist angenommen wird:

  • Einzug unter Musik
  • Begrüßung
  • Vorstellung der Jugendlichen durch sie selbst
  • Musik
  • Dank an die Eltern
  • Musik
  • Festansprache an die Jugendlichen mit Elternbeteiligung
  • Festakt mit Übergabe einer gestalteten Kerze und des symbolhaften Geschenkes durch die Eltern
  • Musik
  • Wünsche der Jugendlichen für sich selbst, die Mitmenschen und die Welt
  • Musik
  • Segenswunsch durch die Leiter
  • Auszug unter Musik
  • Empfang vor der Kirche

Die Pfarrgemeinde, die sowohl ihre Räume als auch ihren Gottesdienstraum für das Angebot öffnet, begleitet und unterstützt darüber hinaus, indem sie die Jugendlichen und ihre Eltern in ihr Gebet einmünden lässt, sowie durch Männer und Frauen, die den oben erwähnten Empfang vorbereiten und durchführen.

Ansprechpartner und Leiter des Angebotes „Feier der Lebenswende“ sind derzeit eine katholische Lehrerin des Liborius-Gymnasiums und somit eine Mitarbeiterin des Bistums Magdeburg und ein Gemeindereferent einer der beiden Pfarreien der Stadt Dessau-Roßlau.

Was als Alternative zur Jugendweihe an den 3 katholischen Gymnasien des Bistums Magdeburg eingerichtet wurde, hat sich entwickelt hin zu einem Beziehungsgeschehen, welches das Leben konfessionsloser junger Menschen und ihrer Eltern würdigt und feiert und in der Zeit der Lebenswende vom Kind zum Jugendlichen Deutung und Sinn aus dem christlichem Verstehen und Glauben anbietet.

Sicherlich in einer stark säkularen Lebenswelt eine neue Form, um christliches Denken, Kirche und den Gott des Lebens Menschen ansichtig zu machen. Allerdings nur als ein selbstloses Angebot mit einem echten Interesse an den Menschen, frei von kirchlicher Vereinnahmung, wohl aber aus einem froh machenden Glauben heraus! Und dies hinterlässt einen Eindruck, der sich beispielsweise darin zeigt, dass Eltern auf dem Gelände der Kirchgemeinde, in der die Feier der Lebenswende stattfindet, eine Sonnenuhr errichtet haben, an der die Namen aller Jugendlichen zu lesen sind und die sie als symbolisches Geschenk eingebracht haben.

Ralf Knauer, Ansprechpartner und Leiter der Feier der Lebenswende in Dessau-Roßlau, Gemeindereferent in der Pfarrei Hl. Familie Dessau-Roßlau

Wir danken dem St. Benno Verlag für die kostenfreie Abdruckgenehmigung.
Aus: Hauke, Reinhard, Mitfeiern – miterleben – mitgestalten. Neue Perspektiven und Anregungen für die Seelsorge an Christen und Nichtchristen, St. Benno Verlag: Leipzig 2014, ISBN: 978‑3‑7462‑4166‑1.