Das gemeinsame Priestertum aller Getauften

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„Kraft der empfangenen Taufe ist jedes Mitglied des Gottesvolkes ein missionarischer Jünger geworden“, so Papst Franziskus in Evangelii gaudium. Pater Elmar Mitterstieler SJ, langjähriger Spiritual, Exerzitien- und geistlicher Begleiter, zeigt in diesem Textauszug aus einer approbierten Arbeitshilfe der Erdiözese Wien Perspektiven für die gemeinsame Berufung aller Getauften auf. Es zeigt sich, dass es im österreichischen Kontext ähnliche Gehversuche wie in „Gemeinsam Kirche sein“ gibt. Aufgrund der Reflexionsfragen zum Abschluss jedes Kapitels eignet sich der Text gut für den Erfahrungsaustausch und die Diskussion in Gruppen.

Einführung

Wie können wir Menschen sein oder werden, die Freude gewinnen an dem, was uns durch unser Christsein geschenkt ist? Das II. Vaticanum hat uns allen in der Kirche die Fülle unseres Christseins neu erschlossen. Mit einem vertieften Blick auf die Taufe hat uns das Konzil im Thema des gemeinsamen Priestertums einen Weg eröffnet, diese Fülle mit Freude und Dankbarkeit neu zu entdecken und persönlich und als Gemeinde und als Kirche darauf zu antworten.

Obwohl biblisch grundgelegt, in der Tradition der Kirche nie ganz vergessen und im Laufe der Kirchengeschichte da und dort deutlich angemeldet, kann und muss man beim gemeinsamen Priestertum doch von einer Lücke in unserem christlich-kirchlichen Bewusstsein sprechen. Sie hat sich über viele Jahrhunderte erstreckt. Es handelt sich um einen „verschwundenen Fluss“, der im II. Vaticanum zwar wiederentdeckt wurde, in den folgenden Jahrzehnten aber, kurz wahrgenommen, wieder unter Tage ging und – wie so manches andere – seinen geistlichen Reichtum und seine Wirkkraft für die Kirche nicht entsprechend entfalten konnte. In diesen Jahren gab es viele schmerzliche Vorbehalte gegenüber dem 21. Ökumenischen Konzil, Vorbehalte zugleich weiter Kreise des Amtes, die auch jüngere Generationen erreicht haben, gerade gegenüber jenem Thema des Konzils, dem dieses Heft wiederum gewidmet ist.

Diese Vorbehalte sind inzwischen nicht ausgeräumt oder haben sich gar aufgelöst. Es wächst jedoch da und dort – und nicht zuletzt in unserer Erzdiözese – die Erkenntnis, dass die Kirche nur durch ein deutliches Mehr an „gemeinsam“ sich entschieden erneuern und verlebendigen kann; dass Partizipation und Beteiligung etwas Schönes sind und nur Mitfreude und Mittragen den Gaben gerecht werden, die der Herr in zugleich gleicher und verschiedener Weise uns allen schenkt; dass nur ein neues Bewusstsein des einen Volkes Gottes uns die Fülle unseres Christseins erschließt; dass nur so die „Freude des Evangeliums“ Fuß fassen und weitergetragen werden kann; dass die Erneuerungskraft des Konzils noch lange nicht erloschen ist …

Auf die gegenseitige Mitfreude über die Gaben des Herrn sei nochmals eigens verwiesen. Sie ist im Besonderen eine Quelle der Erneuerung der Kirche: nämlich die Freude an dem, was (auch) der/des anderen ist. Schon ganz am Beginn seines Evangeliums schlägt Lukas – fast programmatisch, möchte man sagen – diesen Ton an in der Begegnung von Maria und Elisabeth. Beide Frauen sind in ihrem Leib dankbar mit überraschenden Gaben beschenkt, anerkennen die eigene und die Rolle der je anderen im Heilsplan Gottes und freuen sich – geradezu jubelnd – gemeinsam an ihren Gaben. Es ist der Heilige Geist, der zu eben solcher Freude gegenseitiger Anerkennung und Wertschätzung treibt und neidlos eint. Den tödlichen Gegensatz dazu formuliert Mt 27,18: „Denn er [Pilatus] wusste, dass man ihn aus Neid überliefert hatte.“

Das Konzil hat ein großes Interesse an allen, auf allen Ebenen, und am Gemeinsamen. Es spricht mit Entschiedenheit, die allen Menschen gemeinsame Menschenwürde vorausgesetzt, von der gemeinsamen und gleichen Würde aller Getauften. In Lumen gentium 32 formuliert das Konzil: „Es ist also in Christus und in der Kirche keine Ungleichheit aufgrund von Rasse und Volkszugehörigkeit, sozialer Stellung oder Geschlecht, denn ‚es gilt nicht mehr Jude und Grieche, nicht Sklave und Freier, nicht Mann und Frau; denn alle seid ihr einer in Christus Jesus‘ (Gal 3,28; vgl. Kol 3,11)“. „Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: ‚Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,5); gemeinsam die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus …“ Der Sinn, ja der Eros für die Gleichheit aller, gerade auch in ihrer Würde, gehört zu den unverwechselbaren Charakteristika des Konzils.

Wir alle sind einander eben-bürtig aus ein und derselben Geburt, als Menschen und aus unserer Wiedergeburt als Christen. Menschenwürde und Christenwürde gehören nahtlos zusammen und stützen und schützen sich gegenseitig. Denn der Schöpfer und der Erlöser aller ist ein und derselbe: Er, „der uns liebt“ und „uns zum Königtum gemacht hat, zu Priestern für seinen Gott und Vater“ (Offb 1,6).

Zum Letzten, was das Konzil wollte, hätte es gehört, dem Amt der Kirche einen Schaden zuzufügen. Sein Anliegen war, das ganze Volk Gottes für unsere Tage neu zu bereichern. Das ist und wird auch mehr und mehr seine Wirkung sein.

Fünf Aspekte des gemeinsamen Priestertums aller Getauften

Freier Zugang

Dem Glauben an Jesus und der Taufe (Taufweihe) auf seinen Namen verdanken wir alle gemeinsam die Teilhabe am Priestertum Jesu. Es schenkt uns den freien Zugang zu Gott.

Seht, es werden Tage kommen – Spruch des Herrn –, in denen ich mit dem Haus Israel und dem Haus Juda einen neuen Bund schließen werde, nicht wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen habe, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägypten herauszuführen. Diesen meinen Bund haben sie gebrochen, obwohl ich ihr Gebieter war – Spruch des Herrn.
Denn das wird der Bund sein, den ich nach diesen Tagen mit dem Haus Israel schließe – Spruch des Herrn: Ich lege mein Gesetz in sie hinein und schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein. Keiner wird mehr den andern belehren, man wird nicht zueinander sagen: Erkennt den Herrn, sondern sie alle, klein und groß, werden mich erkennen – Spruch des Herrn. Denn ich verzeihe ihnen die Schuld, an ihre Sünde denke ich nicht mehr.
Jer 31,31–34

Hinführung

In vielen Religionen ist der direkte Kontakt zur Gottheit einem besonderen Stand von Priestern und Priesterinnen vorbehalten. Bis heute wird in einer volkstümlichen Vorstellung der Priester als besonderer Experte für Gott verstanden, der sich mit Gott „besser auskennt“, dessen Gebet eine besonders direkte Verbindung zu Gott hat.

Als Christen sehen wir die oben genannte Verheißung des Jeremiabuches in all jenen, die durch Glaube und Taufe zu Jesus gehören, erfüllt. An dem einen und einzigen Priestertum Christi haben durch die Taufe alle Anteil. Das Wort vom freien Zugang verdankt sich Eph 2,17f., und zwar in Bezug auf alle: „Er [Jesus] kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen. Durch ihn haben wir beide in dem einen Geist Zugang zum Vater.“ Das trifft nicht nur auf Juden und Heiden zu, sondern auf alle, die an Jesus glauben, so heißt es einige Verse später in Eph 3,12: „In ihm haben wir den freien Zugang durch das Vertrauen, das der Glaube an ihn schenkt.“ Wir sind durch Jesus in seine Beziehung zu seinem Gott hineingenommen. Wir sind befähigt, Gott auf die Spur zu kommen in dieser Welt, in unserem Leben, mit all seinen unendlich schönen und unendlich mühsamen Seiten.

Der Jesuit Alfred Delp († 1945 in Berlin-Plötzensee, hingerichtet wegen Widerstandstätigkeit gegen Hitler) hat das in folgende Worte gefasst:

Aus allen Poren der Dinge quillt er [Gott] gleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen. Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.

Gott als die letzte und innerste Wirklichkeit und die Quelle des Lebens umwirbt uns in allen Stunden unseres Lebens, um mit uns „Begegnung zu feiern“. Auch wo Menschen sich mit der Kirche schwertun, auch dort, wo sie zu vielen Bereichen kirchlichen Lebens auf Distanz gegangen sind, begleitet sie Gottes werbende Liebe, befähigt Gott sie, ihn zu entdecken. Weil Gott so großherzig ist, gibt es bei ihm Wohnung für alle.

Kürzester und schönster Ausdruck dieses freien Zugangs ist, dass wir mit Jesus Gott ohne Umschweife ansprechen und „Vater“ nennen dürfen.

Zum Nachdenken und Austauschen

  • Bei welchen Gelegenheiten konnte ich in den vergangenen Tagen Gottes Gegenwart in meinem Leben wahrnehmen?
  • Welche Orte, Zeiten oder Anlässe gab und gibt es in meinem Leben, wo Gott mir besonders nahe ist?

Selbstgabe

Die Teilhabe am Priestertum Jesu, die uns in der Taufe geschenkt wurde, ist Teilhabe an seinem Priestertum der Selbstgabe.

Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.
Lk 22,19f.

Hinführung

Zum geradezu archetypischen Priesterbild gehört es, dass der Priester Gott die rechte Opfergabe (etwa ein makelloses Opfertier) darzubringen weiß. Jesu priesterliche Hingabe ist nicht Gabe von „etwas“, sie ist kein rituelles Opfer, sondern ist liebende Hingabe seiner selbst, „in seinem eigenen Blut“ – „ein für alle Mal“ (Hebr 9,12). Seit Jesus von Nazareth ist die rechte Gabe, die unseren priesterlichen Dienst ausmacht, unsere Selbstgabe. Gott sucht uns, nicht unsere großen Worte und unsere guten Werke – Gott will uns selber, unser Herz, unsere Leidenschaft und unsere Liebe. Den Grund für diese Liebesgeschichte hat er selbst, sich selbst mitteilend und schenkend, in der Erschaffung der Welt und in der Menschwerdung seines geliebten Sohnes gelegt.

Unzählige Menschen sind in Jesus der leidenschaftlichen Liebe Gottes begegnet. Denn Jesus ist diesem Weg der Liebe treu geblieben. Er wollte lieber in den Tod gehen, als von der Liebe Gottes zu uns lassen. Und er bezieht uns alle darin ein, die Leidenschaft seiner Liebe zur Dynamik unseres Lebens werden zu lassen. Genau das bezeichnen wir als „Opfer“. Hier geht es nicht darum, etwas zu tun, was vor allem mühsam und anstrengend ist, sondern mit Charme und Leidenschaft, mit Ausstrahlung und Charisma auf die je eigene Weise nach seinem Beispiel (vgl. Joh 13,1–17) ein Mensch der Liebe zu werden.

In jeder Eucharistiefeier feiern wir dankbar dieses Opfer Jesu: seine Selbstgabe. Die ganze versammelte Gemeinde konzelebriert diese Feier in Gemeinschaft mit dem, der kraft seines priesterlichen Dienstamtes der Feier vorsteht, und mit der ganze Kirche. Sie begehen gemeinsam das Gedächtnis der Hingabe Jesu. Als Gemeinschaft um ihn versammelt, begegnen sie seiner Liebe im Wort, im Brot und im Wein. Sie bringen dabei sich selber ein, das ganze Leben ihres Alltags, um so immer fähiger zu werden, sich auch selber zu verschenken, selber zu einer guten Brotgabe für die Menschen unserer Tage zu werden. In schöner Einfachheit und Klarheit kommt dies im Zweiten Eucharistischen Hochgebet zum Ausdruck: „Wir danken dir, dass du uns berufen hast, vor dir zu stehen und dir (als Priester/priesterlich – so der griechische Urtext) zu dienen“ – im Geheimnis dieser liturgischen Feier und in der davon untrennbaren Antwort der Liebe unseres gewöhnlichen, ja oft allzu gewöhnlichen Alltags.

Zum Nachdenken und Austauschen

  • Welchen Menschen verdanke ich in meinem Leben etwas Besonderes, etwa, weil sie sich für mich engagiert haben, besonders für mich da gewesen sind?
  • Wann konnte ich zum letzten Mal darüber staunen, wie sehr sich Gott um mich sorgt?
  • Wo erlebe ich Freude, mich für andere Menschen oder für ein besonderes Anliegen einzusetzen?

Vergebung

Der Glaube an Jesus und die Taufe auf seinen Namen geben uns Teil an seinem Priestertum der Vergebung und der Versöhnung. Dieses befähigt uns, als Menschen der Vergebung in unserem ganzen Leben Versöhnung zu wirken: tagtäglich dringend benötigtes Brot überall dort, wo Menschen leben.

Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat. Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, indem er den Menschen ihre Verfehlungen nicht anrechnete und uns das Wort von der Versöhnung (zur Verkündigung) anvertraute. Wir sind also Gesandte an Christi statt, und Gott ist es, der durch uns mahnt. Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen! Er hat den, der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden.
2 Kor 5,17–21

Hinführung

Jesus ist einer von uns geworden, um alle Barrieren zwischen Gott und den Menschen und zwischen uns Menschen zu beseitigen. Jesus zeigt uns, wie großherzig Gott ist und wieviel Freude er daran hat, Vergebung zu schenken. Gott vergibt leidenschaftlich! Deshalb ist die ganze Kirche das Zeichen und Sakrament der Versöhnung Gottes in der Welt, wenn auch diese Sendung immer wieder durch ihr eigenes sündhaftes Tun verdunkelt wird. Die Kirche ist nicht dazu da, sich besorgt um ihren Selbsterhalt zu kümmern, sondern, um Gegensätze zu überwinden, Hindernisse zwischen Menschen auf die Seite zu räumen, immer wieder den ersten Schritt zu tun, damit Versöhnung und Frieden möglich werden. Ausdruck findet das im Sakrament der Versöhnung und überall dort, wo Christen und christliche Gemeinden in ihrem Alltag als Menschen das so dringend benötigte Brot der Vergebung weiterschenken; wo sie sich die Großherzigkeit Jesu zu eigen machen und anderen ihre Fehler nicht nachtragen; wo sie phantasievoll dazu beitragen, trennende Gegensätze und Ausgrenzung zu überwinden, so dass neue Schritte im Zugehen aufeinander möglich werden.

Die Kirche als priesterliche Gemeinschaft bietet in der Beichte eine wichtige Hilfe, die uns allen übertragene Versöhnungsvollmacht verantwortlich zu leben. Die in der Beichte empfangene Vergebung will, wie jede uns geschenkte Vergebung, weiterwirken: Umarmt uns Gott, so ist die logische Konsequenz daraus unsere Bereitschaft, auch den Nächsten zu umarmen (vgl. Mt 6,14f.; 18,23–35). Der Dienst des Amtspriesters im Sakrament der Versöhnung ist Dienst an unserem gemeinsamen Priestertum, das uns alle ausnahmslos beauftragt zum Dienst der Versöhnung in Kirche und Welt. Wir alle sind von Christus bestellte Träger und Trägerinnen seines Versöhnungsdienstes und sind in ihn einbezogen; denn sein Wort nimmt alle in Gemeinde und Kirche in Verantwortung: „Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein“ (Mt 18,18; vgl. Joh 20,22ff.).

Zum Nachdenken und Austauschen

  • Wo habe ich in meinem Leben schon erfahren, dass mir wirklich vergeben wurde?
  • Wo sehe ich Möglichkeiten, um in meinem Umfeld Versöhnung zu leben?
  • Wo gibt es Erfahrungen, dass die Vergebung im Bußsakrament ihre Fortsetzung in meinem eigenen Leben findet?

Verkündigung

Unser Priestertum mit Jesus beauftragt uns alle mit der Verkündigung der Frohen Botschaft.

So kam er auch nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging, wie gewohnt, am Sabbat in die Synagoge. Als er aufstand, um aus der Schrift vorzulesen, reichte man ihm das Buch des Propheten Jesaja. Er schlug das Buch auf und fand die Stelle, wo es heißt: Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. Dann schloss er das Buch, gab es dem Synagogendiener und setzte sich. Die Augen aller in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. Da begann er, ihnen darzulegen: Heute hat sich das Schriftwort, das ihr eben gehört habt, erfüllt.
Lk 4,16–21

Hinführung

Jesus hat die Ankunft des Reiches Gottes verkündet, das in seiner Person und in seiner Verkündigung nahegekommen ist. In der Synagoge seiner Heimatstadt Nazareth legt er programmatisch dar, was über ihn und seine Sendung geschrieben steht.

Christen treten in die Fußstapfen Jesu. Mit demselben Geist gesalbt, verkünden sie dort, wo sie leben, und auf der ganzen Welt ihn und seine erlösende und befreiende Botschaft. Das II. Vaticanum erinnert uns daran, dass wir alle aufgrund der Taufe zur Verkündigung berufen sind, indem wir „die Machttaten dessen verkünden, der sie aus der Finsternis in sein wunderbares Licht berufen hat (vgl. 1 Petr 2,4–10)“, in unserem gesamten Alltag und „überall auf Erden für Christus Zeugnis geben und allen, die es fordern, Rechenschaft ablegen (vgl. 1 Petr 3,15)“. Denn es gibt „kein Glied, das nicht Anteil an der Sendung des ganzen Leibes hätte; jedes muss vielmehr Jesus in seinem Herzen heilighalten und durch den Geist der Verkündigung Zeugnis von Jesus ablegen“ (Presbyterorum ordinis 2).

In der Liturgie geschieht Verkündigung entsprechend den verschiedenen Diensten und Aufgaben. Seit der Liturgiereform, im Anschluss an das Konzil, ist gleich nach den Einsetzungsworten eine Akklamation der Gemeinde ins Eucharistische Hochgebet (zum Hochgebet gehörig!) eingefügt: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“ Mit diesen Worten bekennt, verkündet, ja proklamiert die ganze versammelte Gemeinde den Tod und die Auferstehung ihres Herrn. Dieser Ruf dient nicht nur der „Beteiligung der Gemeinde“. Er bezeugt und bekräftigt vielmehr, dass die ganze Feier weit mehr ist als eine namhafte christliche Frömmigkeitsübung. Er ist offiziell-amtliche Proklamation des in der Eucharistie gegenwärtig gefeierten österlichen Geheimnisses (des „mysterium paschale“), in der Gemeinschaft der Kirche, vor aller Welt, durch die gesamte feiernde Gemeinde!

Verkündigung ist zunächst, schon ganz ohne Worte, das im Blick auf Gott und die Mitmenschen gestaltete christliche Leben – nämlich wie Christen, mehr oder weniger der Botschaft gemäß, mit sich selbst und miteinander und mit ihrer Umwelt umgehen. Ganz von selbst bieten sich dann Gelegenheiten, das, was sie bewegt und leitet, auch in Worte zu fassen und von ihrer Freude am Glauben und ihrer persönlichen Beziehung zu Gott und zu Jesus zu erzählen.

Die Frauen rund um Jesus waren die ersten Zeuginnen und Verkünderinnen seiner Auferstehung. Die Jünger hielten ihre Botschaft zunächst nur für unglaubwürdiges „Geschwätz“ (Lk 24,11)! Maria von Magdala erhielt schon früh den Ehrentitel „apostola apostolorum“, Apostelin der Apostel. Gerade den Frauen hat der Auferstandene die Gott und Welt umstürzende Botschaft neuen Lebens zuerst anvertraut. Ihre Würdigung bleibt, so müssen wir gestehen, bis heute eine Herausforderung für die Kirche.

Schon 1936 schrieb Karl Rahner in der heute „Geist und Leben“ genannten Zeitschrift: „Die Taufe ist die grundlegende Weihe zu jeder Seelsorge … Jeder Getaufte ist ein geweihter Seelsorger.“ Da das wirklich so ist, da – inzwischen ganz im Sinne des II. Vaticanums – tatsächlich jeder Getaufte ein geweihter Seelsorger und jede Getaufte eine geweihte Seelsorgerin ist, können wir „in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi“ (Lumen gentium 32) überhaupt und besonders in der Verkündigung des Evangeliums viel mehr zusammenwirken und einander viel mehr zutrauen, als wir es bisher oft getan haben.

Zum Nachdenken und Austauschen

  • Welche Menschen haben mich durch ihr Leben und ihr Vorbild geprägt?
  • Wo spüre ich in meinem Leben den Impuls, das Geschenk des Glaubens, das ich empfangen habe, selbst auch anderen zugänglich zu machen?
  • Welchen Platz und welche Wertschätzung finden in meinen Augen und in meinem Umfeld Frauen in den vielfältigen Formen der Verkündigung?

Vermittlung

Dem Glauben an Jesus und der Taufe auf seinen Namen verdanken wir in Teilhabe an seinem Priestertum, dass wir mit ihm, dem einzigen Mittler bei Gott, Mittler seiner Zuwendung und Liebe zu allen Menschen sein dürfen.

Eines Tages, als Jesus wieder lehrte, saßen unter den Zuhörern auch Pharisäer und Gesetzeslehrer; sie waren aus allen Dörfern Galiläas und Judäas und aus Jerusalem gekommen. Und die Kraft des Herrn drängte ihn dazu zu heilen. Da brachten einige Männer einen Gelähmten auf einer Tragbahre. Sie wollten ihn ins Haus bringen und vor Jesus hinlegen. Weil es ihnen aber wegen der vielen Leute nicht möglich war, ihn hineinzubringen, stiegen sie aufs Dach, deckten die Ziegel ab und ließen ihn auf seiner Tragbahre in die Mitte des Raumes hinunter, genau vor Jesus hin.
Lk 5,17–19

Hinführung

Indem Jesus uns Anteil gibt an seinem Priestertum, lässt er uns auch teilhaben an seiner Mittlerschaft. Das erinnert uns an eine wesentliche, Schönheit und Not zugleich in sich bergende Bedingtheit unseres menschlichen Lebens.

Damit wir im Laufe unseres Lebens immer mehr in eine vertrauensvolle und liebevolle Beziehung zu Gott hineinwachsen, sind wir auf andere Menschen angewiesen, die uns die Liebe Gottes vergegenwärtigen und erfahrbar machen. So prägt z. B. die Erfahrung, die Kinder mit ihren ersten Bezugspersonen machen, auch ihre eigene Liebesfähigkeit, ja nicht zuletzt auch ihre Gottesbeziehung. Eltern können durch ihre Art des Umgangs mit ihren Kindern den Zugang zu Gott erschließen oder auch verstellen. Wie in diesem Beispiel, so setzen wir in der ganzen Liebe unseres Alltags die Liebe Gottes gegenwärtig und geben sie an unsere Mitmenschen weiter oder verdunkeln sie.

Als Getaufte stehen wir alle verantwortlich in diesem Vermittlungsdienst, sind wir dazu geweiht und beauftragt von unserem Herrn. Den Vorrang und den ersten Platz hat dabei, als Frucht des Glaubens, natürlich und ganz selbstverständlich die Liebe, die wir empfangen haben und in deren Kraft wir – wo immer wir sind und wie und in welcher Lebensform immer wir leben – die Liebe Gottes gegenwärtig setzen und erfahrbar machen. Die Liebe in der Gestalt unseres Menschseins ist das elementarste Sakrament der Gegenwart Gottes. In der schlichten, alltäglichen Zuwendung zueinander, in Selbstgabe, Vergebung usw., vollzieht sich durch uns in persona Christi in aller Alltäglichkeit die unfehlbarste priesterliche Vermittlung.

Ein besonders kostbares Beispiel der Liebe, die uns in unserem priesterlichen Dienst aus der Taufe geschenkt ist, ist der Vermittlungsdienst der Fürbitte. In den synoptischen Evangelien lesen wir die eindrucksvolle Szene, wie Menschen keinen Weg unversucht lassen, um einen Gelähmten zu Jesus zu bringen. Dieses Engagement, in dem Menschen andere Menschen zu Jesus bringen, finden wir häufig in den Evangelien – wie überhaupt das Eintreten vor Gott für andere Menschen die ganze Schrift durchzieht. Das kann uns ein Hinweis sein auf die Bedeutung des fürbittenden Gebetes, das uns – nicht nur, wenn es keine anderen Möglichkeiten gibt – in jeder Situation unseres Lebens offensteht.

lm Fürbittgebet wird Kirche eine Gemeinschaft der Solidarität, die die Grenzen zwischen Himmel und Erde und von Mensch zu Mensch auf der ganzen Erde überwindet, sie miteinander in Beziehung setzt und verbindet. Die liebende Aufmerksamkeit der Fürbitte bezieht auch Menschen mit ein, die selbst gar nicht ausdrücklich zur Gemeinschaft der Kirche gehören. In unserem alltäglichen wie auch im liturgischen Fürbittgebet nehmen wir an der Freude und der Not derer teil, für die wir beten, und bringen und tragen sie stellvertretend zu Jesus und zu Gott hin.

Zum Nachdenken und Austauschen

  • Wo in meinen Leben habe ich erfahren, dass die Liebe Gottes mich durch die Liebe und Zuwendung anderer Menschen berührt?
  • Wo erlebe ich in meinem Leben Freude daran, für andere zu beten?

Aus dem Schreiben „Evangelii gaudium“ von Papst Franziskus

Kraft der empfangenen Taufe ist jedes Mitglied des Gottesvolkes ein missionarischer Jünger geworden (vgl. Mt 28,19). Jeder Getaufte ist, unabhängig von seiner Funktion in der Kirche und dem Bildungsniveau seines Glaubens, aktiver Träger der Evangelisierung, und es wäre unangemessen, an einen Evangelisierungsplan zu denken, der von qualifizierten Mitarbeitern umgesetzt würde, wobei der Rest des gläubigen Volkes nur Empfänger ihres Handelns wäre. Die neue Evangelisierung muss ein neues Verständnis der tragenden Rolle eines jeden Getauften einschließen. Diese Überzeugung wird zu einem unmittelbaren Aufruf an jeden Christen, dass niemand von seinem Einsatz in der Evangelisierung ablasse; wenn einer nämlich wirklich die ihn rettende Liebe Gottes erfahren hat, braucht er nicht viel Vorbereitungszeit, um sich aufzumachen und sie zu verkündigen; er kann nicht darauf warten, dass ihm viele Lektionen erteilt oder lange Anweisungen gegeben werden. Jeder Christ ist in dem Maß Missionar, in dem er der Liebe Gottes in Jesus Christus begegnet ist; wir sagen nicht mehr, dass wir „Jünger“ und „Missionare“ sind, sondern immer, dass wir „missionarische Jünger“ sind. Wenn wir nicht überzeugt sind, schauen wir auf die ersten Jünger, die sich unmittelbar, nachdem sie den Blick Jesu kennengelernt hatten, aufmachten, um ihn voll Freude zu verkünden: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41). Kaum hatte die Samariterin ihr Gespräch mit Jesus beendet, wurde sie Missionarin, und viele Samariter kamen zum Glauben an Jesus „auf das Wort der Frau hin“ (Joh 4,39). Nach seiner Begegnung mit Jesus Christus machte sich auch der heilige Paulus auf, „und sogleich verkündete er Jesus und sagte: Er ist der Sohn Gottes“ (Apg 9,20). Und wir, worauf warten wir?

Evangelii gaudium 120

Literaturhinweise

Auf Italienisch erschienen unter dem Titel: Mitterstieler S.I., Elmar, Il sacerdozio comune di tutti i battezzati, La Civiltà Cattolica 3979 (9 aprile 2016) 33–47.

Mitterstieler, Elmar, Das wunderbare Licht, in dem wir leben. Gleichheit, Würde und Priestertum aller in der Kirche, Würzburg 32015.

Mitterstieler, Elmar, Das Priestertum aller Getauften. Für eine geschwisterliche Kirche aus dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils. Impulse und Quellentexte, Würzburg 2015.

Ferstl, Franz/Mitterstieler, Elmar, Segnen – eine Berufung für alle. Grundlagen | Rituale | Gebete, Innsbruck 2016.

Aus: Mitterstieler, P. Elmar, unter Mitarbeit von Markus Beranek und Georg Nuhsbaumer, Aus der Taufe leben. Das gemeinsame Priestertum aller Getauften. Anleitung zur persönlichen Auseinandersetzung und zum Gespräch in Dekanatskonferenzen, Pfarrgemeinderäten und Gruppen. Wien o. J.