„Zeichen der Hoffnung für die Menschen, die bisher in der Gemeinde keinen Ort haben“, so ließe sich vielleicht die Botschaft des neu gestalteten sakralen Raumes in Vellmar in Nordhessen fassen. Dagmar Denker (†), Referentin im Bischöflichen Ordinariat Fulda, berichtet von den Erfahrungen der Gemeinde Hl. Geist Vellmar mit diesem Projekt. Frau Denker ist am 13. August 2016 zu Gott heimgekehrt.
Die Idee
Fast drei Jahre Vorüberlegungen sind vergangen, als im August 2011 die Gemeindemitglieder der Pfarrei Hl. Geist Vellmar an einem eigens einberufenen Informationsabend eingeladen sind, sich mit der Idee eines neuen sakralen Raumes auseinanderzusetzen, dem „Raum der Hoffnung“. Vellmar, eine Kirchengemeinde in Nordhessen, Diasporagemeinde – nur wenige Kilometer von Kassel entfernt.
Hintergrund dieser im Pfarrgemeinderat lange diskutierten Überlegungen ist die Entscheidung, Kirche vor Ort neu zu öffnen für Menschen, die sich im klassischen Angebot der Gemeinde nicht wiederfinden können. „Der sakrale Raum ist Zeichen der Hoffnung: Hoffnung für die Menschen, die hier einen Ort haben sollen, Hoffnung für uns als Gemeinde. Dieser Raum soll ein Signal des Aufbruchs werden“, so der damals verantwortliche Pfarrer der Gemeinde Peter Göb auf dem Informationsabend.
Der Raum der Hoffnung als Ort der Stille, als Chance für vielfältige Formen von Gemeinschaft und profilierter Pastoral; ein Ort, der nicht verplant und organisiert werden sollte von den Verantwortlichen der Gemeinde, sondern der lebt von den Begabungen und Orientierungen der Menschen, die in ihren Formen, ihrer Sprache, mit ihren Fragen und auf ihre Art und Weise dort Heimat haben könnten. Im tatsächlichen Sinn ein aufgeschlossener Raum, geöffnet von morgens bis in die Nacht. So sollte der Raum den sehr unterschiedlichen Bedürfnissen, Arbeitszeiten und Lebensformen entgegenkommen. Aufgeschlossen auch für das vielfältige religiöse Suchen, für die ökumenische Gemeinschaft und die Sprachlosigkeit bei all den Momenten, die Menschen an ihre Grenzen bringen: Krieg, Verlust und Angst …
Bereits in den vergangenen Jahren hatte die Gemeinde in Vellmar immer wieder versucht, neue Angebote und außergewöhnliche Zugänge zu Gebet und Meditation auszuprobieren. Dafür gab es in der Gemeinde eine Vielzahl von engagierten Menschen, die in diesem Bereich sehr kreative Angebote machten. Für sie war der Raum der Hoffnung tatsächlich Signal des Aufbruchs – für andere war er ärgerlich und nicht vermittelbar.
Umsetzung
Wie also sollte er aussehen, der neue Raum? Das lange bedachte Innenraumkonzept nimmt die Gedanken auf, die der sakrale Raum als solches ausdrücken möchte: Er soll einladend sein – der Zeit angepasst – und neugierig machen. Dabei darf er irritierend wirken, jedoch immer auch einladend, sich mit den Fragen des Lebens und Glaubens zu beschäftigen.
Wesentliche Elemente der Innenraumgestaltung sind Holzstäbe, Lichtnischen, Musik und Lichtoptionen. Im Raum wurden ca. 350–400 Holzstäbe, jeweils ca. 3 m lang, umlaufend vor der Wand montiert. Durch ihre Höhe nehmen sie die Aufteilung des Raumes auf. Die Stäbe sind flexibel und leicht veränderbar. Vor den sechs Fenstern sind die Stäbe teilweise durchsichtig oder farbig.
Warum Stäbe? Das Motiv des „Stabes“ kommt in der Bibel ca. 100-mal vor. Mit dem Stab schlug Mose beim Auszug der Israeliten aus Ägypten an den Felsen und es floss Wasser heraus, so dass das Überleben der Menschen gesichert war. Ebenso teilte Mose mit dem Stab das Rote Meer und das Volk zog trockenen Fußes hindurch. Im Psalm 23 kommt der Stab vor: „Dein [Gottes] Stock und dein Stab geben mir Zuversicht.“ Der Hirtenstab in seiner vielfältigen Funktion als Schutz-, Abwehr oder Rettungsstab weist auf das Verhalten Gottes gegenüber uns Menschen hin und lädt uns ein, es ihm gleichzutun. Jeder Stab steht symbolisch für uns Menschen: individuell – und dennoch miteinander in Beziehung. Die Stäbe reichen nicht bis an die Decke, also nicht bis in den „Himmel“. Der Mensch ist in vielerlei Hinsicht begrenzt: seine Lebenszeit, sein Tun, sein Erkennen, sein Wollen, sein Können … Und schließlich ist jeder Stab auch Anfrage an den Besucher: Welche Maßstäbe habe ich in meinem Leben, was und wen nehme ich mir zum Maßstab … In den eigens angelegten Lichtnischen können Kerzen aufgestellt werden, das in die Stäbe eingebaute Kreuz drängt sich nicht auf – es ist da, oft bleibt es eine ganze Weile unentdeckt …
Neben dem natürlichen Licht der Kerzen ist die Beleuchtung des Raumes dank moderner Technik in vielen Farben möglich. Farben können Stimmungen ausdrücken und zum Stimmungswechsel führen. So bietet der sakrale Raum viele Möglichkeiten für Ruhe, Gebet, Gedanken, Musik, Meditation und Gespräch. Er lädt ein, Neues zu entdecken, er ist veränderbar, und dennoch hat er seine Maßstäbe. Es ist ein sakraler Raum, der nicht verschlossen ist; Bedürfnisse nach Geborgenheit, nach Gottes Nähe brauchen geöffnete Räume, brauchen „Freiräume“!
Nach 6-monatiger Bauzeit hatte auch die Einweihung am 2. November 2013 eine eigene eindrucksvolle Botschaft: Es war kein „fertiger Raum“, den der Generalvikar der Diözese an diesem Tag einweihte, sondern Menschen versammelten sich an den unterschiedlichsten Plätzen der Stadt, um von dort die letzten Holzstäbe durch die Stadt zu tragen, bevor sie im Raum der Hoffnung ihren Platz fanden.
Die Erfahrungen
Als Mitglied der Gemeinde, als Teil des Pfarrgemeinderates, der die Idee auf den Weg brachte, und nicht zuletzt als Referentin des Seelsorgeamtes habe ich die Entwicklungen dieses Projektes sehr aufmerksam verfolgt.
Nach inzwischen zwei Jahren haben wir kürzlich gemeinsam mit den Gremien der Gemeinde die wichtigsten Erfahrungen mit dem „Raum der Hoffnung“ zusammengestellt:
- Für viele Menschen ist der Raum inzwischen ein wichtiger Ort des Rückzugs und der Stille. Das ausgelegte (Gebet- und Fürbitt-)Buch spricht eine bewegende Sprache: Hier ist tatsächlich ein Ort gewachsen, an dem Menschen mit ihrem Leben Heimat haben.
- Der Raum wird immer mehr ein Ort der Begegnung für die Eltern der Kinder des Kindergartens. Hier „trauen“ sich die Erzieherinnen, auf ganz eigene Weise religiöse Themen anzusprechen, und nutzen die Atmosphäre des Raumes. Eltern, die sich in der Kirche eher verloren fühlen, erleben hier Formen und kreative Zugänge, die ihnen möglich und für sie mitvollziehbar sind.
- Es gibt kreative Angebote, getragen von engagierten Frauen und Männern der Gemeinde. Allerdings zeigt sich, dass es noch einer verstärkten Unterstützung und Qualifizierung bedarf, damit sich noch mehr Menschen trauen, dort Verantwortung zu übernehmen.
- Für die nahe gelegene Gesamtschule wird der Raum immer häufiger zu einem Ort, den die Religionslehrer und Religionslehrerinnen für kurze Unterrichtsunterbrechungen nutzen.
- Bislang noch kaum umgesetzt wurde der Gedanke, zu aktuellen Ereignissen kurzfristig den Raum der Hoffnung zu nutzen (Friedensgebete, Flüchtlingsproblematik, Anschläge, spontane Aktionen). Nicht nur dazu, sondern generell, muss die Öffentlichkeitsarbeit und die Präsenz in den sozialen Netzwerken verbessert werden.
Geblieben ist auch die weiterhin lebendige Diskussion zwischen denen, die sich über den Raum der Hoffnung freuen, und denen, die mit dem klassischen Angebot der Gemeinde völlig zufrieden sind und keine Notwendigkeit für diesen Weg sehen. Als im Verlauf des Sommers einige Jugendliche den Raum verunstalteten, wurden die Diskussionen noch einmal lauter. Inzwischen lernen die Verantwortlichen der Gemeinde, mit diesem Spagat zu leben – ist er doch Ausdruck dafür, wie schwer es ist, Andere anders sein zu lassen.