Erfahrungen der Orden

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mit verschiedenen Formen von Partizipation und Leitung

Wie können die spezifischen Erfahrungen der Orden mit Partizipation und Leitung für die Gesamtkirche nutzbar gemacht werden? Pater Franz Meures SJ, zuletzt u. a. geistlicher Begleiter der Diözesansynode des Bistums Trier, geht diese Frage an, indem er die Erfahrungen verschiedener Orden mit ihren spezifischen Formen von zugleich hierarchisch als auch kollegial verfassten Leitungsformen schildert. Er hebt das Positive hervor, verschweigt aber nicht die spezifischen Probleme ordensgemeinschaftlicher Leitungsformen und kommt schließlich zu sechs Thesen für eine Neugestaltung des Leitungsamtes in der Gesamtkirche.

Einführung

Die Arbeitsgruppe von Kommission IV wünschte einen Text zu obigem Thema, da es schien, dass in den Orden über die Jahrhunderte eine ganz eigene Kultur von Partizipation und Leitung gewachsen ist. Als Teil des priesterlichen Gottesvolkes beruft sich jede Ordensgemeinschaft auf ihr Gründungscharisma, hat zugleich klare Leitungsstrukturen, und alle Mitglieder legen das Gelübde des Gehorsams ab. Wie gestalten sich in diesem Rahmen Partizipation und Leitung?

Eine Annäherung an dieses Thema birgt große Schwierigkeiten, da die Satzungen, Lebensformen und Gewohnheiten der zahlreichen Ordensgemeinschaften kaum zu überblicken sind. Ich stütze mich deshalb auf die persönliche Kenntnis vieler Ordensgemeinschaften, auf Regelungen im allgemeinen Kirchenrecht und auf eine kleine Umfrage, die ich zur Vorbereitung auf diesen Beitrag bei neun Ordensgemeinschaften durchgeführt habe. Ich wählte dazu möglichst verschiedenartige Gemeinschaften aus, die ein wenig das Ordensspektrum seit der Antike abbilden.

Der Rücklauf war gut. Von zwölf angefragten Ordensoberen antworteten neun, einige davon sehr detailliert. Eine Dokumentation würde 35 Seiten umfassen. Ich beschränke mich im Weiteren auf einige Trends und Auffälligkeiten, welche für die Diskussion über den Dienst der Leitung im Zusammenspiel mit den vielen Charismen nützlich sein könnten.

1.     Regula Benedicti, Kapitel 3:
Die „Magna Charta“ von Partizipation und Leitung

Benedikt regelt schon im 6. Jahrhundert für seine Klostergemeinschaft, was wir heute als Zueinander von Leitungsdienst und Charisma diskutieren. Er gestaltet eine Balance zwischen der Leitungsautorität des Abtes und den Charismen und Rechten der Brüder.

RB 3 hält fest: Der Abt hat in wichtigen Fragen die ganze Klostergemeinschaft zu konsultieren, soll den Rat der Brüder hören und dann nach eigenem Urteil entscheiden und handeln. Es ist wichtig, dass alle angehört werden, und dabei wird das „Charisma“ der Jüngeren besonders hervorgehoben. Wie soll dem Abt ein Rat gegeben werden? Die Brüder sollen ihren Rat in Demut und Unterordnung geben, ohne Anmaßung und Hartnäckigkeit.

Trifft der Abt seine Entscheidung, dann sollen ihm alle gehorchen. Es ist die Pflicht der Brüder, zu gehorchen, und Pflicht des Abtes, alles vorausschauend und gerecht zu ordnen.

Bei diesem Vorgang sollen alle der Ordensregel folgen, keiner darf „dem Willen seines eigenen Herzens“ folgen, d. h. es gibt ein Leitbild und Normen, die für alle gelten.

Keiner soll einen anmaßenden Streit mit dem Abt beginnen. Hält er sich nicht daran, ist er wie vorgesehen zu bestrafen.

Der Abt hingegen muss alle seine Entscheidungen vor Gott verantworten. Bei weniger wichtigen Fragen soll er den Ältestenrat konsultieren.

2.     Einige historische Anmerkungen

Solche richtungsweisenden Regeln über Leitung und Partizipation wie in RB 3 sind im Laufe des Mittelalters in ein ganz anderes Fahrwasser geraten. Im 9. Jahrhundert war durch den Kaiser die Regula Benedicti zur verbindlichen Klosterregel im Frankenreich erhoben worden. Die großen Klöster entwickelten sich immer mehr zu einem kirchlichen und politischen Machtfaktor. Innerhalb des mittelalterlichen Feudalsystems waren sie auch ein erheblicher wirtschaftlicher Faktor. Oft verdienten extern residierende Kommendataräbte damit sehr viel Geld, über die Nominierung des neuen Abtes wurde wie beim Investiturstreit für Bischofsernennungen heftig gestritten. In immer neuen Reformbewegungen versuchte man, den ursprünglichen Geist der Klöster zurückzugewinnen.

Die Gründung der Bettelorden war gegenüber dieser mächtigen Klosterkultur eine provokante Alternative. In der Leitungsfrage fällt auf, dass die Mendikanten bis heute geradezu basisdemokratische Verfassungen haben.

Die meisten nach der Reformation gegründeten Orden erhielten zentrale Leitungsstrukturen, jedenfalls die männlichen Orden. Viele Frauenorden blieben bis ins 20. Jahrhundert der bischöflichen Aufsicht unterstellt. Im 19. Jahrhundert war die Ordenslandschaft sehr bunt und vielfältig geworden, teilweise auch gespalten und zerstritten innerhalb ein und derselben Ordensfamilie. Papst Leo XIII. bemühte sich sehr um eine Neuordnung der Ordenslandschaft, was teilweise gelang.

Eine wirkliche Neubesinnung auf die ursprünglichen Charismen der verschiedenen Ordensgemeinschaften kam schließlich durch das Dekret „Perfectae Caritatis“ im II. Vatikanischen Konzil in Gang. Das Zurück zu den Ursprüngen und die Neuausrichtung auf die moderne Kultur hat die Grundfrage des Zusammenspiels von Leitung und Mitverantwortung ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt, so dass dieses Zusammenspiel ein zentraler Faktor der zeitgemäßen Erneuerung des Ordenslebens geworden ist. „Lumen gentium“ hat diesen Aufbruch theologisch und ekklesiologisch neu verortet.

3.     Leitungsstrukturen und Ausübung der Leitungsvollmacht

Hinsichtlich der Leitungsgewalt unterscheidet das allgemeine Kirchenrecht bei den Ordensgemeinschaften (Religiosenverbände – instituta religiosa) zwischen personalen Leitungsorganen (Oberer, Oberin) und kollegialen Leitungsorganen (Kapitel). Das heißt, sowohl die Oberen wie auch die Kapitel haben wirkliche Leitungsvollmacht. Nach CIC 631 ist das Generalkapitel das oberste Leitungsorgan eines Religiosenverbandes. Es hat vornehmlich legislative Vollmacht – je nach Institut –, während der Generalleitung mehr die exekutive Leitungsvollmacht zusteht. Bei monastischen Gemeinschaften liegt fast alle Leitungsgewalt beim rechtlich selbständigen Einzelkloster.

Das allgemeine Kirchenrecht unterscheidet drei Leitungsebenen: das einzelne Ordenshaus mit einem Oberen (CIC 608), die Ordensprovinz (oder das eigenständige Kloster) unter einem höheren Oberen (CIC 620), welcher bei Priesterorden zugleich Ordinarius ist, und der oberste Leiter (Generalobere) mit sehr unterschiedlichen Vollmachten je nach Ordensgemeinschaft (CIC 622). Auf allen Leitungsebenen ist dem Oberen ein Rat zugeordnet, der in vielen Fragen gehört werden muss (konsultative Funktion), in klar definierten Einzelpunkten jedoch auch mehrheitlich Entscheidungen treffen kann, an die der Obere gebunden ist.

Das Leitungsorgan „Kapitel“, d. h. eine repräsentative Vertretung der Gemeinschaft, gibt es auch auf allen drei Leitungsebenen, bei vielen neuzeitlichen Gemeinschaften jedoch nur auf der Ebene der Provinz (Provinzkapitel) und der Gesamtgemeinschaft (Generalkapitel). In monastischen Gemeinschaften und mittelalterlichen Orden hat das Konventskapitel hohe Vollmachten. Je nach Satzung gehören dazu alle Mitglieder mit ewiger Profess, in manchen Orden aber auch alle Mitglieder des Konventes. Diese Kapitel haben im Gegensatz zur RB 3 nicht nur eine konsultative Funktion für den Oberen, sondern in festgelegten Entscheidungsbereichen können sie gültige Beschlüsse fassen.

„Das Zusammenspiel (von Oberer und Kapitel) fordert alle Beteiligten heraus. Partizipation erfordert beim Oberen die Bereitschaft, Anteil zu geben, bei den Schwestern und Brüdern die Bereitschaft, Mitverantwortung zu übernehmen, sowie Konflikt- und Kompromissfähigkeit. Neben gelungenen Erfahrungen angstfreier, zielorientierter Kommunikation stehen Verunsicherungen und Verweigerungen, die das menschliche Miteinander und sachliche Lösungen erschweren oder verhindern“ (Abtpräses Dr. Albert Schmidt OSB).

Wenn einzelne Klöster oder Ordenshäuser große Entscheidungsvollmachten haben, kann dies – gerade in Zeiten des rapiden Mitgliederschwundes der Orden und drängender Fragen der Umstrukturierung – zu Blockaden auf der mittleren und obersten Leitungsebene führen. Konkret: Zusammenlegungen von Klöstern sind nicht möglich oder werden verweigert – jedes Kloster stirbt für sich selbst. In apostolischen Orden fällt das Wort von der „Entmachtung der Provinziäle.“

Was die Ausübung von Leitung betrifft, so hat sich auch in den Orden in den letzten 50 Jahren ein großer Kulturwandel vollzogen. Zuvor wurde häufig der unbedingte Gehorsam gepredigt, die völlige Unterwerfung unter den Willen des Oberen – ohne jeden Einwand. Aszetische Begriffe wie „Abtötung“, „Selbstverleugnung“ und „aufopfern“ dienten der Zementierung dieses Leitungsverständnisses. Darum ist für manche ältere Ordensleute bis heute das Wort „Gehorsam“ ein Reizwort. Aus den eingegangenen Berichten wird deutlich, dass dieses „alte System“ fast vollständig verschwunden ist. Offene Kommunikation, Gespräch, gemeinsame Beratung sind normale Standards in den Ordensleitungen geworden, finden natürlich ihre Grenzen an der Kommunikationsfähigkeit der Einzelnen. Es ist bei den Ordensoberen üblich geworden, vor einer Versetzung oder der Zuteilung einer neuen Aufgabe mit dem Bruder oder der Schwester zunächst persönlich zu sprechen. Einwände können vorgebracht werden und es wird nach einvernehmlichen Lösungen gesucht. Dieser Suchprozess von beiden Seiten wird als „geistliche Unterscheidung“ verstanden, um das zu finden, womit Gott mehr gedient ist. Manchmal jedoch drängt sich auch der Eindruck auf, als sei gegenüber dem „unbedingten Gehorsam“ das Pendel zu stark in die Gegenrichtung ausgeschlagen, so dass von wirklicher apostolischer Verfügbarkeit nicht mehr die Rede sein kann.

Die gemeinsame Beratung und Entscheidung in Konventen und Kapiteln ist sehr ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Oft werden bei wichtigen Anlässen und Fragen externe Berater oder Prozessbegleiter hinzugeholt. Das Instrument der „geistlichen Entscheidungsfindung in Gemeinschaft“ hat große Bedeutung gewonnen, stellt jedoch auch hohe Ansprüche an jene, die an solchen Prozessen teilnehmen. In einer großen Instruktion der „Kongregation für die Institute des geweihten Lebens und für die Gesellschaften apostolischen Lebens“ über den Ordensgehorsam ist dieses Instrument sehr präzise beschreiben und für wichtige Anlässe sehr empfohlen worden. Mir ist nicht bekannt, ob es ähnliche Empfehlungen für Veränderungsprozesse in den Ortskirchen gibt.

Am Schluss bleibt jedoch – mögen die Ordensregeln und Konstitutionen noch so gut sein – nüchtern festzustellen: Ob die Ausübung des Leitungsautorität in partizipativem Stil gelingt und Frucht für die Gemeinschaft bringt, hängt in erheblichem Maße von der Persönlichkeit des Oberen/der Oberin und von den beteiligten Brüdern und Schwestern ab.

4.     Besetzung von Leitungsämtern und Ablösung vom Amt

In diesem Punkte unterscheidet sich die Praxis der Orden wohl am stärksten von der verfassten Orts- und Weltkirche. Ordensleute haben in erheblichem Maße das Recht, ihre Leitungsämter selbst durch Wahl oder Ernennung zu besetzen. Klöster wählen ihren Abt/ihre Äbtissin, Generalkapitel wählen die oberste Ordensleitung, ohne dass eine Bestätigung einer anderen kirchlichen Autorität eingeholt werden müsste. Solchen Wahlen gehen oft lange diskrete Konsultationsprozesse voraus. Offener Wahlkampf soll vermieden werden, was nicht immer gelingt. So bleibt es nicht aus, dass manchmal „normale“ menschliche Regungen wie Rivalität, Eifersucht und Machtstreben die Oberhand gewinnen. Wenn dies eintritt, d. h. wenn es nicht gelingt, die Vorbereitungsprozesse einer Wahl diskret und respektvoll zu gestalten, kann großer Schaden entstehen. Es bleiben Verletzte auf dem Feld zurück.

Bei den meisten zentral organisierten neuzeitlichen Ordensinstituten ernennt der jeweils höhere Obere die Oberen auf der nächsttieferen Ebene. Konkret: Der General ernennt Provinziäle, der Provinzial ernennt Hausobere. Aber auch in diesen Fällen finden vorher ausführliche Konsultationsprozesse statt. Hier ist der Kulturwandel am deutlichsten zu greifen.

Die Zusammensetzung der Kapitel auf der mittleren und obersten Hierarchieebene geschieht fast überall durch geheime Wahl der Kapitulare. Das heißt, hier gibt es ein echtes basisdemokratisches Modell in der Kirchenlandschaft. Die Erfahrungen damit sind durchweg gut. Einige Änderungen der Statuten nach dem II. Vatikanum haben dabei große Wirkungen gezeigt. Z. B.: Bei uns Jesuiten war es bis 1965 üblich, dass die 40 ältesten Professen der Provinz sich zur Provinzkongregation (= Provinzkapitel) versammelten. Nach jenem Statut müssten wir heute fast alle 40 Kapitulare aus unseren Altenheimen zusammenholen. Seit 1965 werden die 40 Kapitulare in geheimer Wahl von allen Mitgliedern der Provinz gewählt, was den Altersdruchschnitt und die Beratungskultur erheblich verändert hat.

Ein weiterer wichtiger Unterschied in der Leitungskultur der Orden ist zu nennen: Fast alle Ordensoberen werden „auf Zeit“ gewählt oder ernannt. Auch diese Regelung ist erst nach dem Vatikanum II üblich geworden. Daraus entstehen zwei Vorteile: Erstens, es kommt nicht zu einer Überalterung der Oberenämter. Zweitens, Obere, die sich in ihrem Amt nicht bewährt haben, können problemlos abgewählt werden. Dies gilt auch für Obere, die geweihte Äbte und/oder Ordinarien sind!

In Zeiten stark schwindender Mitgliederzahlen in den Orden wird das Problem immer größer, aus den wenigen Ordensmitgliedern der „mittleren Generation“ geeignete Kandidaten für die Oberenämter zu finden.

5.     Der mühsame Weg der Frauenorden zu eigenverantwortlicher Leitung

Die rechtliche Eigenstellung und Gleichstellung der Frauenorden ist ein beklagenswertes Kapitel der Kirchengeschichte, welches bis in die Gegenwart andauert. Im 20. Jahrhundert sind in vielen Punkten gute Verbesserungen erreicht worden, doch die leidenschaftliche Klage der hl. Teresa von Avila, dass Frauenklöster viel zu oft von Prälaten regiert werden, ist bis heute nicht verstummt. Die vom Hl. Stuhl in den letzten Jahren angeordnete Visitation der weiblichen Ordensgemeinschaften in den USA und die Art ihrer Durchführung sind ein trauriges Kapitel zu diesem Thema. So findet sich das Thema „Frauen in der Kirche“ in analoger Form auch bei den Ordensfrauen, speziell wenn es um Ämter und Charismen geht.

Die Geschichte dieser Entwicklung kann in diesem Beitrag nicht nachgezeichnet werden. Mit einer gewissen Verallgemeinerung kann gesagt werden, dass Frauenklöstern immer wieder Regeln auferlegt wurden, die gar nicht zu ihnen passten. Am Beispiel der Regelungen für die klösterliche Klausur bei Frauen lässt sich diese Leidensgeschichte gut nachzeichnen. Die große Beginenbewegung im Spätmittelalter wurde systematisch ausgegrenzt und schließlich häretisiert. Das Konzil von Trient verschärfte noch einmal die von Bonifaz VIII. erlassenen Normen für die Klausur, was zur Folge hatte, dass manche Gründungen der Neuzeit (z. B. Angela Merici, Mary Ward) vermeiden wollten, offiziell als Ordensfrauen anerkannt zu werden, um nicht in ein Korsett gesperrt zu werden, das ihnen den sozialen oder erzieherischen Auftrag der Gründung unmöglich gemacht hätte. Viele Gründerinnen von Schwesterngemeinschaften im 19. Jahrhundert wollten ganz nahe bei den Menschen sein. Doch mit der kanonischen Anerkennung wurden sie gewissermaßen in eine klösterliche Ordnung eingesperrt.

Mit dem Aufbruch nach dem II. Vatikanum sahen sich viele Frauengemeinschaften vor der Herausforderung, wie denn aus treuen, demütigen Schwestern mündige Christinnen werden können. Ein großer Nachholbedarf an menschlich-geistlichen Entwicklungsprozessen wurde diagnostiziert, insbesondere für die Qualifizierung von Führungskräften. Hier ist in den letzten 50 Jahren unglaublich viel geschehen, und viele Frauenorden haben eine ganz eigene Kultur von Partizipation und Leitung entwickelt. Dies ist eine beachtliche Entwicklung. Mir scheint, davon könnte die ganze Diskussion „Frau in der Kirche“ profitieren. Beim Gesprächsforum der Deutschen Bischofskonferenz am 14./15. September 2012 in Hannover haben die Vertreter der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) dies in folgendem Kernsatz formuliert: „Das Ordensleben hat schon seit Jahrhunderten Frauen die Chance gegeben, Leitung zu übernehmen. Wir unterstützen dies für alle Frauen in der Kirche. Dies ist Ausdruck der Taufgnade.“

6.     Ausblick von den Orden auf gesamtkirchliche Fragen

Welche weiteren Anstöße könnten die obigen Darlegungen über die Orden für gesamtkirchliche Fragen im Bereich „Amt und Charisma“ – „Partizipation und Leitung“ geben?

a)    Die Verbindlichkeit

Die Frage von Partizipation und Leitung ist in den Orden hoch virulent, da sich die Ordensmitglieder lebenslang an eine Gemeinschaft binden und in dieser Gemeinschaft eine gesunde und fruchtbare Balance zwischen der notwendigen Leitung und der Berufung des Einzelnen gefunden werden muss. Dabei hat der Aspekt „Verbindlichkeit“ zentrale Bedeutung. In LG 44 wird diese Verbindlichkeit in folgende Worte gefasst: „heilige Bindungen“ (sacra ligamina), „Gelübde“ (vota), „Weihe … durch Festigkeit und Beständigkeit der Bande“ (consecratio … per firmiora et stabiliora vincula“) sowie die Brautsymbolik, „die unlösliche Verbindung Christi mit seiner Braut“ (Christus cum sponsa … indissolubili vinculo coniunctus).

Daraus kann sehr einfach abgeleitet werden, dass auch in der Ortskirche sowohl das Leitungsamt wie die vielen Charismen einen verbindlichen Rahmen brauchen. Negativ formuliert: Einen Pfarrer, der einfach macht, was er will, darf es nicht mehr geben, und Charismen, die als frei fließendes kirchliches Potential angesehen werden, verlieren ihre Gestaltungskraft.

b)    „Die reichere Frucht aus der Taufgnade“

LG 44 charakterisiert die Ordensleute dadurch, dass sie in einem Leben nach den evangelischen Räten „reichere Frucht aus der Taufgnade empfangen können“, d. h. das Ordensleben ist ein spezieller Weg zur Entfaltung der Taufgnade. Bei der Aufnahme in den Orden wird genau geprüft, ob sich die Taufgnade des Bewerbers bereits entfaltet hat und ob die Berufung, welche der Betreffende verspürt, mit dem Charisma des Ordens kompatibel ist. Danach folgen bis zur feierlichen Profess mindestens sechs bis acht Jahre der weiteren Prüfung und der Reifung in diesem Charisma. Mir scheint, dass gesamtkirchlich die Frage erneute Aufmerksamkeit verdient, was denn die Kriterien für die Zulassung zur Taufe sind. Die Entfaltung der Taufgnade im Rahmen „der allgemeinen Berufung zur Heiligkeit in der Kirche“ (LG Kap. 5) ist kein Automatismus. Um mündiger Christ zu werden, ist ein geistlicher Reifungsprozess notwendig. Nur die gereifte Taufgnade ermöglicht ein wirkliches Zusammenspiel von Amt und Charisma. Taufen ohne katechumenalen Weg produzieren kirchliche Karteileichen.

c)     Oft offenbart Gott einem Jüngeren, was das Bessere ist

„… quia saepe iuniori Dominus revelat quod melius est“ (RB 3,3). Dieser Satz ist gnadentheologisch ein Hammerschlag, spricht er doch aus, dass sich beim Jüngeren und Unerfahrenen Gottes Offenbarung ereignen kann. Ignatius von Loyola hat nach seiner Bekehrung im Vertrauen auf die Wahrheit dieses Satzes begonnen, Exerzitien zu geben, und landete innerhalb kürzester Zeit vor dem Inquisitionsgericht. „Illuminismus“ und der Glaube an Privatoffenbarungen wurden ihm vorgeworfen.

Natürlich wird in einem Konventskapitel die „Offenbarung“ an den Jüngeren durch die Beiträge der anderen Brüder/Schwestern relativiert oder korrigiert. Dennoch dürfte sich in der Kirche je neu die Frage lohnen: Was offenbart uns Gott durch die Meinung und das Verhalten der Jüngeren? Dahinter steht der schier unfassbare Glaube, dass Gott durch die jungen Leute zu uns spricht (siehe Daniel in der Susanna-Geschichte, Dan 13).

d)    Wahl von Leitungsämtern

Wenn in den Orden Leitungsämter ohne weitere Bestätigung durch eine andere kirchliche Autorität durch Wahl besetzt werden können, bleibt die Frage, warum das in anderen kirchlichen Bereichen nicht auch so sein kann.

e)    Legislative Gewalt von Kapiteln

Hier gilt ähnliches: Kann es nicht auch andere kirchliche Gremien geben, denen legislative Gewalt zuerkannt wird – natürlich im rechtlichen Rahmen des CIC? Das ist ja auch bei den Orden so: Satzungsänderungen sind von der Religiosenkongregation zu approbieren.

f) „Geistliche Entscheidungsprozesse in Gemeinschaft“

Kirchliche Gremien, Verbände, Räte, Behörden, Projektgruppen etc. sind heute meist sehr gut geschult, nach den üblichen Geschäftsordnungen, nach Spielregeln repräsentativer Demokratie und modernem Leitungsmanagement vorzugehen. Doch die Frage „Was will Gott von uns in dieser Situation?“ darf eigentlich nicht gestellt werden. Immer häufiger höre ich die Frage: „Was ist denn eigentlich ein geistlicher Entscheidungsprozess?“ Hier öffnet sich ein weites Feld.

Tischvorlage für die Sitzung der Arbeitsgruppen der Deutschen Bischofskonferenz „Das Zueinander der Dienste und Charismen im priesterlichen Gottesvolk“ und „Relecture von Lumen Gentium“ am 23. Oktober 2013 in Köln.